EGK: Demnächst beginnt Ihr Veloabenteuer zum Nordkap. Welches ist Ihr Hauptziel bei dieser Velotour?
Patrick Sumi: Das ist zunächst mal ein ganz alter Traum, den ich schon seit sehr Langem verwirklichen will. Das Velo steht ohne Frage für die einfachste und reinste Form des Reisens. Man hat Zeit, denn unser Körper und unsere Kräfte bestimmen den Tagesablauf, und die Langsamkeit ermöglicht Entdeckungen, Begegnungen und Erkundungen. Der Velowanderer hat Zeit, auf andere zuzugehen und mit ihnen auf Augenhöhe zu kommunizieren – und das mit einem lautlosen und unauffälligen Fortbewegungsmittel. Für mich wird diese Reise eine Art Übergang sein, ein Übergang zwischen dem Vorher und dem Nachher.
Davor hatte ich 23 Jahre bei Nestlé gearbeitet, mit allem, was dazugehört: Verantwortung, Arbeitsvolumen und Zielstrebigkeit. Ich brauche eine Pause, denn die letzten Jahre waren anstrengend. Der Umgang mit schwierigen Situationen hat mich an den Rand des Burnouts gebracht.
Nachher steht für das, was ich nach dieser Reise machen will: Ich will einfacher und langsamer leben, mir für meine persönlichen Projekte Zeit nehmen und mich stärker für meinen Verein (Out’cha) und meine Sportprojekte einsetzen und weitere Reisen machen. Dazu gehört auch wieder ein Job, diesmal jedoch in einem stärker auf meine Bedürfnisse und Werte zugeschnittenen Rahmen.
Diese Velotour wird für mich eine Therapie sein, um ein neues Gleichgewicht zu finden. Ich werde Zeit haben, nachzudenken, in mich zu gehen und mich mit mir selbst auseinanderzusetzen. Diese Tour wird mir das geben, was man sich von einem Veloabenteuer wünscht: einfach nur in die Pedale treten, essen und einen Schlafplatz finden. Alles andere ist Nebensache.
«Leben heisst, seinen Traum zur Erinnerung zu machen.»
Sylvain Tesson
EGK: Sie haben eine Strecke von mehr als 5500 km innert vier Monaten (Frühling/Sommer) vor sich. Was nehmen Sie mit und wie transportieren Sie Ihr Gepäck?
Patrick Sumi: An meinem Velo werden nur vier Taschen hängen. Das schränkt ein, also werde ich mich auf das Notwendigste konzentrieren, und das lässt sich in vier Kategorien einteilen:
ein Equipment, um erholsam und komfortabel zu schlafen, d. h. Zelt, Matratze, Schlafsack, Kissen und Lampe. Wer mit dem Velo unterwegs ist, muss gut schlafen können, denn Erholung ist das A und O für einen Velofahrer;
Kochausrüstung, denn Essen ist lebensnotwendig, d.h. ein Benzinkocher, zwei ultraleichte Töpfe, eine Flasche Benzin (besser als Gas, da es überall erhältlich ist), Kochutensilien, Gewürze und so viele Grundnahrungsmittel wie für 2-3 Tage nötig sind (Pasta, Reis und Konserven). Den Rest kaufe ich unterwegs, nehme aber meinen kleinen italienischen Espressokocher mit, denn der Kaffee am Morgen ist wichtig für einen guten Start in den Tag;
Kleidung, Necessaire und alles, was für den Schutz vor Unwettern, Regen, Sonne, Kälte und Hitze nötig ist. Ich werde auf sehr unterschiedliche Wetterbedingungen treffen, da muss ich mich jeden Tag anpassen können. Gore-Tex-Weste und Regenhose. Ich nehme hauptsächlich Wollkleidung mit, vor allem für die ersten Schichten, da Wollkleidung angenehmer zu tragen ist und trotz Schwitzen nicht unangenehm riecht. Auf dem Velo und im Zelt werde ich aber verschiedene Sachen tragen und meine Kleidung gut sauber halten.
Dann kommt alles für den Notfall, damit dieser Trip unter bestmöglichen Bedingungen durchgeführt werden kann. Konkret müssen alle Eventualitäten eingeplant werden. Dazu gehört Veloflickzeug, um die wichtigsten Dinge reparieren zu können und um zu verhindern, wegen eines mechanischen Problems nicht mehr weiterfahren zu können. Aber man muss auch an den Velofahrer denken, denn ohne ihn geht es nicht weiter. Also braucht es eine kleine Notfallapotheke, um Stürze, Verletzungen, Infektionen oder eine Magenverstimmung behandeln zu können. Zudem helfen Mückenschutz, Sonnencreme, Pflaster und einige Medikamente wie Breitbandantibiotika, die mir mein Arzt verschreiben kann, die dringendsten Wehwehchen zu lindern.
EGK: Eine so weite Velotour ist auch für den Körper eine Herausforderung. Wie wird sich dies auf Ihre Gesundheit auswirken und wie bereiten Sie sich auf diese Anstrengung vor?
Patrick Sumi: 5500 km tönen tatsächlich nach sehr viel, aber der menschliche Körper ist eine unglaubliche Maschine, die sich auf einmalige Weise anpasst. Ich treibe seit jeher Sport, habe an Velorennen und vielen anderen Sportwettbewerben teilgenommen. Ich trainiere regelmässig und sollte für dieses Abenteuer bereit sein. Um eine Überbelastung oder Übermüdung von Muskeln oder Sehnen zu verhindern, werde ich erstmal ruhig starten und in den ersten drei Wochen eher kurze Etappen mit höchstens 50 km Länge einplanen. Diese Zeit ist notwendig, damit sich der Körper anpasst und das Velofahren zur neuen Normalität wird. Wichtig wird sein, sich gesund zu ernähren und nicht alles zu verschlingen, was gerade herumliegt. Man muss frische und lokale Produkte, Früchte und Gemüse kaufen und sich zum Kochen zwingen. Es ist so wie im Alltag: Man kann schnell bequem werden und sich schnell zufriedengeben, was aber auf lange Sicht nichts Gutes ist, denn es kann zu Mangelerscheinungen und Energielosigkeit führen. Ich werde auch einige Nahrungsergänzungsmittel mitnehmen, damit ich mit den wichtigsten Vitaminen ausreichend versorgt bin.
Ausserdem werde ich mir jeden Tag Zeit für Dehnungsübungen, Stretching und vielleicht ein bisschen Yoga nehmen, um beweglich zu bleiben. Denn Velofahren macht steif, und Beweglichkeit und Gelenkigkeit sind wichtig.
EGK: Auf welches Teilstück freuen Sie sich am meisten und warum?
Patrick Sumi: Gute Frage! Darüber habe ich noch nicht wirklich nachgedacht, doch nach einigem Überlegen kann ich einige Etappen aufzählen, auf die ich mich besonders freue.
Der Abreisetag, auf den ich, glaube ich, seit mehr als 20 Jahren warte. Ich freue mich, diesen Tag mit meinen Liebsten zu erleben und zu teilen. Los geht es am 1. April um 10 Uhr in Lutry.
Wenn ich, nach der Durchquerung von West nach Ost, mein Heimatland, die Schweiz, verlassen werde, wird mein Abenteuer symbolisch beginnen.
Natürlich freue ich mich auf die Ankunft am Nordkap. Ich weiss aber, dass der Weg lang sein wird und man es mit der Vorfreude nicht übertreiben sollte. Man muss schon jetzt anfangen und jeden Tag in die Pedale treten, um vorwärtszukommen. Der Rest wird sich dann von ganz allein ergeben …
Ich freue mich auf jene Situationen, die unerwartet kommen, die nur das Reisen bieten kann. Meine bisherigen Reisen haben mir gezeigt, dass die schönsten Dinge überraschend passieren – eine Begegnung, ein Ort, ein Augenblick … Diese einzigartigen Momente, die mir meine Reise bieten wird, auf diese Momente werde ich besonders achten.